KULTURTOURISMUS
Stargarder Geschichte
Der äußere Rand der von Lubinus erstellten Karte des Herzogtums Pommern (des Meisterwerkes der Kartographie aus dem 17. Jahrhundert) ist mit 49 Ansichten der wichtigsten Städte verziert. Oben links sind Greifswald (Gryfia) und Stralsund (Strzałów), rechts Stettin und Stargard zu sehen. Das zeugt von der großen Bedeutung von Stargard in der pommerschen Geschichte.
Stargard-Osetno befand sich bereits im 9. Jahrhundert eins der Zentren der lokalen Stämme, die zu dieser Zeit in Pommern zahlreich entstanden. Mit der Zeit wurde auf der Insel, die von den beiden Armen der Ihna eingeschlossen wurde, eine neue Wachburg gebaut. Ihr Name wurde zum ersten Mal Anfang des 12. Jahrhunderts zur Zeit der Christianisierung Pommerns erwähnt. Die Stadtentwicklung wurde durch die Niederlassung des Johanniterordens (1186) und durch die Gründung des Augustinerklosters (1199) beschleunigt. 1243 verlieh Barnim I der Stadt Stargard das Magdeburger Recht (1292 in das Lübische Stadtrecht umgewandelt).
Stargard, die Stadt mit jahrhundertlangen Traditionen, wurde in den alten Zeiten als Stadt der Türme und Kirchen bezeichnet. Ihre Höhe prägte das Bild der Stadt, die als: „Stargard – das Höchste“ genannt wurde.
Die geographische Lage des mittelalterlichen Stargards zwischen den beiden Armen der Ihna und die spätgotische Architektur sowie die Höhendifferenzen, die über zwanzig Meter zwischen dem höchsten und tiefsten Punkt betrugen, prägten das Stadtbild, die Stadt wurde demzufolge auch oft als „Nürnberg des Ostens“ bezeichnet. Die Stargarder, die am schnellsten an ihrer Kraft zu erkennen waren, wurden „Fünfbinder genannt, da sie so kräftig sind, dass sie auch fünf Männer wie sie zusammenbinden können“. Die Bürger waren aber nicht nur gute Krieger, sondern auch reiche Kaufmänner und geschickte Handwerker.
Stargard trieb als Mitglied der Hanse besonders lebhaften Handel. Die Hauptware, die von den Stargardern exportiert wurde, war das aus der Gegend um Pyritz stammende Korn. Stargard monopolisierte den Markt, was zum Handelskrieg zwischen Stargard und Stettin führte. Eine wichtige, wenn nicht sogar entscheidende Rolle spielte damals die Gilde der Seeleute, die ihre Waren auf der Ihna zum Stargarder Hafen in Ihnamünde (Inoujście) beförderten, wo sie auf größere seetaugliche Schiffe umgeladen wurden, mit denen sie auf der Ost- und Nordsee fuhren. Die Seeleute aus Stargard waren u.a. an dem Krieg gegen König Waldemar III. von Dänemark beteiligt.
Stargard besitzt bis heute eine der wertvollsten Wehranlagen, die nicht nur aus Toren, Basteien, Wiekhäusern und Wehrmauern, sondern auch aus Wällen mit ehemaligen Wassergräben und dem Zeughaus besteht. Diese Befestigungen retteten mehrmals die Stadt vor den Angriffen der Nachbarn und die Wallanlagen dienten nicht nur zur Verteidigung, sondern auch als Ort, an dem die Glocken gegossen wurden. Als Ende des 18. Jahrhunderts die Wehrmauern ihre ursprüngliche militärische Funktion weitgehend verloren, beschloss die Führung der Stargarder Garnison, die Wassergräben und Wallanlagen in Grünanlagen umzugestalten. Diese Grünanlagen bilden bis heute den beliebten Ort, an dem die Einwohner Spaziergänge machen und spielen und an dem äußerst interessante Ausstellungen im Freien organisiert werden.
Den wertvollsten Teil der Wehranlage bildet zweifelsohne das Mühlentor (Brama Młyńska), auch Hafentor genannt, das schon kurz nach seiner Erstellung im historischen Stadtwappen abgebildet wurde. Das ist das polenweit einzige Wassertor, dessen Türme an zwei gegenüberliegenden Ufern des Ihnaarmes aufgebaut wurden.
Das Herzstück der Stadt wie auch jeder Stadt mit jahrhundertlangen Traditionen war der Marktplatz. Stargard besaß drei solche Plätze. Der Hauptmarkt, heute als Altstadtmarkt (Rynek Staromiejski) bekannt, hatte eine repräsentative Funktion als Markt mit dem Rathaus und hier fanden die Johannis-Jahrmärkte statt.
An diesem Platz standen die Stadtwaage, die Rats- und Löwenapotheke und seit dem 18. Jahrhundert auch die Wache. In der nächsten Umgebung wohnten die reichsten Kaufleute, Tuchmacher, Krämer und Kürschner. In den weiteren Jahrhunderten entstanden hier die elegantesten Gasthäuser und Hotels sowie Sitze der ersten lokalen Zeitschriften. Die zwei anderen Marktplätze waren der Fleischmarkt, heute Mariacka Str. und der Fischmarkt, heute Gelände zwischen der Marienkirche und dem Rathaus.
In der Architektur der Stargarder Gotteshäuser, deren Vorbilder in alten mittelalterlichen Zeiten zu finden sind, zeigte sich die Kunst der Baumeister, die mit dem Baustoff arbeiteten, der für die südliche Ostseeküste charakteristisch war, mit dem Backstein. Die landschaftsprägenden Baukörper der Marien- und Johanniskirche gaben den damaligen Architekten die Richtung für ihre weiteren Werke vor. Die einzelnen Details aber auch komplexe Lösungen wurden nicht nur in der sakralen, sondern auch in der weltlichen Architektur kopiert. Die Dekorationsformen der Marienkirche finden ihre Wiederspiegelung sogar auf den dänischen Inseln. Das Innere, dessen Kubatur über 53 Tsd. m2 beträgt, beeindruckte schon die Zeitgenossen durch seinen Umfang und seine Größe, was der Bürger aus Augsburg, Filip Hainhofer in naiver Direktheit in seiner Chronik zum Ausdruck zu bringen versuchte und schrieb, dass die Kirche „so hoch gewölbt ist, dass ich eine ähnlich hohe wohl noch nie im Leben gesehen habe“.
Das Innere der in Stargard zahlreichen Kirchen wurde jahrhundertelang durch großzügige Spenden ausgestattet und ausgeschmückt, die nicht nur von den Bürgern und Geistigen, sondern auch von pommerschen Herzögen und Adeligen stammten. Wundervolle, jahrhundertelang gesammelte Gegenstände fielen 1635 dem großen Brand der Stadt zum Opfer. Der schon erwähnte Chronist beschrieb so eins dieser Gegenstände: „hinter dem Altar steht die Uhr und der Mechanismus, mit dem die Glocken bewegt werden, mit Erdkugel und Modell der Umlaufbahnen der Himmelskörper“.
Stargard war früher auch durch Kunstwerke bekannt, die vor allem in Werkstätten von Schnitzern, Goldschmieden, Zinngießern und Glockengießern erstellt wurden. Kelche, Leuchter, Glocken, Kanzeln und Altäre der Stargarder Meister schmückten nicht nur die Gotteshäuser in Stargard, sondern auch andere Kirchen Großpommerns. Bei den Stargarder Glockengießern wurden die Glocken von den pommerschen Herzögen, Adeligen, Bürgern und Dorfgemeinden bestellt. Sie riefen die Gläubigen in die Kirche in Pommern, in Polen und in Brandenburg zusammen. Die älteste erhaltene Glocke in Stargard ist die 1464 gegossene, 3500 kg schwere Marienglocke in der Johanniskirche.
Zu den Handwerkern Stargards gehörten ganze Goldschmied-Familien, ihre Werke zeichneten die wunderschönen Dekorationsmotive aus, deren Formen von der jeweils herrschenden Mode abhingen.
Die Stargarder schätzten unter allen Tugenden vor allem die Rechtstaatlichkeit und Gerechtigkeit. Mehrmals wiesen sie nach, dass sie die Rechtsvorschriften einhalten, manchmal waren sie dabei auch fast zu streng. Im 16. Jahrhundert ließ „ein hiesiger Bürgermeister den eigenen Sohn wegen einer Straftat köpfen, um Gerechtigkeit walten zu lassen“. Stargard besaß noch Anfang des 17. Jahrhunderts eine „perfekte“ Folterkammer und auf den Wiesen an der Ihna standen Galgen und Schafott. 1772 kam hier bei der Zeugenvernehmung zum letzten Mal in Europa der sog. Dessauer Trog, der auch als Stargarder Schrank bezeichnet wurde, zum Einsatz. Neben dem staatlichen und städtischen Recht galt auch das örtliche Gewohnheitsrecht. Dazu gehörte die Nutzung der hölzernen Keule, die in der Durchfahrt des Pyritzer Vortors zum allgemeinen Gebrauch hing. Neben der Keule war ein Spruch zu lesen: „Wer seinen Kindern gibt das Brot und leidet im Alter selber Not, den schlagt mit dieser Keule tot”.
Die Schönheit des alten Stargards betonten besonders stark die Maler, Graphiker und Fotographiker im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Kunst- und Architekturhistoriker, die ihre Abhandlungen über die Kunst in Stargard in den früheren Jahrhunderten schrieben, würdigten Schönheit und Reiz der einzelnen Stadtteile. Ihren künstlerischen Weg begannen eben in Stargard der berühmteste Stettiner Maler August Ludwig Most (1807-1883) und der Komponist der berühmten komisch-fantastischen Oper „Die lustigen Weiber von Windsor“ Otto Nicolai (1810-1849). Die Sammlung seiner Zeichnungen mit Stargarder Motiven hinterließ der bekannte Kunsthistoriker Franz Kugler. Wilhelm Herwarth, der Maler aus Berlin malte hingegen mit großer Vorliebe idyllische Szenen aus dem Leben der Stargarder in der Umgebung der bekanntesten Bauten des alten Stargards. Die Stadt, die mit der Ihna aufs engste verbunden ist, nutzte den Fluss nicht nur zu den wirtschaftlichen Zielen und Transportzwecken, sondern auch als Erholungs- und Freizeitgebiet. Die Stargarder verbrachten im 19. Jahrhundert ihre Freizeit sehr gerne im Boot, auf dem Strand oder im Stadtwald.